MEDIA & DIGITAL, PR & COMMUNICATION

The revenge of the living room

Heimliche Kommunikationsveränderungen in Zeiten von Lockdown und Home-Office.

Vieles ist in den letzten Wochen und Monaten bereits über Video-Conferencing, Arbeitsdisziplin, neue Ablauforganisation etc. geschrieben worden. Das Home-Office ist vielfach die neue geschäftliche und kommunikative Schaltzentrale in Zeiten des Lockdowns geworden.

Ein Umstand ist mir in den letzten Wochen aufgefallen, den ich gerne der geschätzten Aufmerksamkeit des Lesers nahebringen will:

Während Herr oder Frau Österreicher (und genauso unsere internationalen Nachbarn) jetzt am Laptop sitzen, virtuellen Video-Konferenzen beiwohnen, auf Lautsprecher geschaltete Telefon-Konferenzen quer durch die Wohnung erledigen oder live in Präsentationen einsteigen, hört und teilweise sieht der restliche Haushalt (oft unfreiwillig) mit.

Mir geht es dabei gar nicht vorrangig um Compliance oder der Wahrung von Geschäfts-geheimnissen (das ist ein eigenes Thema), viel spannender ist der damit verbundene kommunikative Aspekt und die oftmals später nachfolgenden Reaktionen der Mithörer und -seher.

Das Unternehmen des Heimwerkers steht täglich auf dem partnerschaftlichen oder erweiterten familiären Prüfstand. Und das in einer Form, wie es bisher noch nie in der Vergangenheit dagewesen ist. Der Resthaushalt kannte Personen und Unternehmen nur aus Erzählungen des Heimwerkers, im besten Fall aus vereinzelten Weihnachts- oder sonstigen Firmenfeiern.

Die familiären „Nachbetrachtungen“ haben somit eine Auswirkung auf den Heimwerker, weil unterschiedlichste Situationen LIVE von den Mitbewohnern erlebt und beurteilt werden (können). Klassische Ansage: „Du, dein Chef ist aber schon eher gewöhnungsbedürftig…“.

Allzu hemmungslose Schlagabtäusche, Befehlsausgaben oder sonstige, im Normalfall besser in einer abgeschlossenen Umgebung stattfindenden Klärungsgespräche sollten in Zeiten des Home-Office trotzdem nicht „öffentlich“ durchgeführt werden. Das Unternehmen als solches und seine Vertreter stehen (oft unvorbereitet) auf einer neuen Betrachtungsebene. Negative Erlebnisse oder Erfahrungen daraus können sich wesentlich deutlicher auswirken, als bisher erwartet.

Auch wenn Home-Office (fälschlich) nach lauschiger Intimität klingt, es ist ein grundsätzlich ÖFFENTLICHER Raum, in dem ab sofort kommuniziert wird.

Ich habe im unmittelbaren Bekanntenkreis in den letzten Wochen mehrfach erlebt, dass eine neue berufliche Lebens- oder Richtungsentscheidung sehr zügig gefällt wurde, weil der „Familienrat“ einstimmig der Ansicht war, dass die bisherige Arbeitssituation aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr tragbar sei.

Ich betrachte das grundsätzlich nicht als negativ, sondern als einen weiteren notwendigen Schritt der zunehmenden Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Arbeitnehmern im 21. Jahrhundert, die auch eine Menge (unhaltbarer) Arbeitsverhältnisse drastisch beeinflussen wird.

Es bedeutet aber auch, dass sich Unternehmen in ihrer internen Kommunikation komplett neu ausrichten müssen. Adressat ist nicht mehr nur der direkte Angestellte oder Lieferant, es empfiehlt sich sehr, noch stärker umfeld- und familienbezogen aufzutreten und die Wertschätzung des „erweiterten Kreises“ zu suchen, um damit eine wesentlich nachhaltigere und dauerhafte Beziehung bzw. Bindung aufbauen zu können.

Kluge Unternehmen haben das bereits in der analogen Welt in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht: Mc Donald’s war eines der ersten Unternehmen international, das eigene Kindergärten für Mitarbeiter angeboten hat, ebenso IBM mit regelmäßigen Familienausflügen … andere Zeiten, andere Mittel. Sozial engagierte Unternehmen wie seinerzeit die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien (aber auch viele andere Banken), dm Drogeriemärkte oder auch die New Economy-Durchstarter wie google, facebook oder Unterhaltungsriesen wie Disney wissen schon seit langem, dass die Meinung „zuhause“ eminent wichtig ist dafür, ob ein Mitarbeiter sich wohlfühlt oder seinen Arbeitgeber als Belastung empfindet.

Wie schnell es gehen kann, wenn die häusliche Kommunikation jetzt verstärkt mitspielt, haben wir in den letzten Wochen mehrfach in der Politik und Wirtschaft erlebt:

Deutschland, Wahl des CDU-Vorsitzes im Jänner 2021. Erster virtueller Parteitag der Parteigeschichte. Alle Delegierten saßen ZUHAUSE vor den Monitoren, um den Reden der Kandidaten zu lauschen und nachfolgend ihre Stimme abzugeben. Nach dem ersten Wahlgang (mit drei Kandidaten) lag Friedrich Merz noch vor Armin Laschet. Dann in der Stichwahl die Trendwende und Laschet wurde neuer Parteivorsitzender. Abgesehen von der „Rede seines Lebens“, die er vor dem Parteitag hielt, sind die Analysten überwiegend der Meinung, dass Laschet „familientauglicher“ war und ebensolche Kommentare der häuslichen Mitbewohner (die den Parteitag nachweislich mitverfolgten) sehr stark zum Wechsel des Wahlverhaltens der Abstimmenden beigetragen hat.

USA, Sturm auf das Kapitol im Jänner 2021. Das Entsetzen ZUHAUSE vor den Bildschirmen, was plötzlich möglich war, hat viele Abgeordnete der Republikanischen Partei mit einer intensiven häuslichen Diskussion konfrontiert, warum sie den Präsidenten bis jetzt/weiterhin mitvertreten bzw. „entschuldigt“ haben. Zusätzlich wurden Familienangehörige in den letzten Monaten durch Lockdowns auch Augen- und Ohrenzeugen bei grob geschnitztem Umgang mit Mitarbeitern und der wahltechnischen und generellen „Wahrheitsfindung“.

Ich weiß von mehreren namhaften österreichischen Unternehmen (Datenschutz), bei denen es in den letzten Monaten im Mittel- und Topmanagement zu mitarbeiterseitigen Austritten kam, weil das häusliche Umfeld diskutable Unternehmensentscheidungen bzw. unternehmerische Verhaltensweisen miterlebt hat und danach als „Team“ den Wechsel besprochen und eindeutig gestützt bzw. mitbeeinflusst hat.

Interne Kommunikation und Verhaltenskodex bei Unternehmen werden daher in Zeiten zunehmender Home-Offices eine immer wichtigere Rolle spielen. Ebenso eine allgemein tragbare Außenkommunikation und ein hervorragendes Reputation-Management. Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, sollten daher eingespielte Abläufe und Verhaltensweisen genau JETZT auf den Prüfstand kommen. COVID-19 verändert auch unsere Kommunikationswelt ganz sicher nachhaltig. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um sich darüber Gedanken zu machen und entsprechende Beratung einzuholen. Und ja nicht vergessen: auch bei KUNDEN sitzen die Familienangehörigen zuhause dabei…

Alex Vogel, Jänner 2021